Konzerte

„Kann es vielleicht sein, dass es Deichkind war?“ Konzertkritik: Deichkind, 11. April 2015. Westfalenhalle Dortmund

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Die Welcome-Atmosphäre ist den Gastgebern gelungen. Quelle: deichkind.de

Die U-Bahnen sind knallvoll. Überall sieht man diese dreieckigen Helme, mal akribisch mit Neongaffer-tape plus LED-Beleuchtung gebastelt, mal primitiv aus Altpapier und Kreppklebeband zusammengeklatscht. Junge Leute, in derer Clique noch nicht alle Bier kaufen dürfen, ein paar Fans an der Hand von Mutter oder Vater mit Dreieckshelm in Kindergröße und jede Menge People um die 30, die der Band wohl seit Beginn an ihre Treue halten, strömen an der Station „Westfalenhallen“ angekommen, zum ausverkauften Konzert.

VJ Wasted bringt vor Showbeginn einen herrlichen Mix an interessanten Clips auf die kolossale Leinwand, die die Bühne noch verhüllt und man darf sich über die Würdigung des verkannten Kunstmediums Musikvideo freuen.

Das schlagartige Ausknipsen aller Beleuchtung entfacht natürlich fetten Jubel, aber was wir nun zu sehen bekommen, bricht die Erwartungshaltung von „Jetzt geht’s gleich ab!“ sowas von. Poetische Flugaufnahmen von Wasserfällen, schutzbedürftig dreinblickende Seerobben und einsame Motorradcruiser auf Wüstenlandstrichen, unterlegt mit einer mächtigen epischen akustischen Sphäre im Ethno-Stil, muten fast sakral an. Dieses angestimmte Melodrama wird gebrochen, indem sich bei konstant bleibender Akustik nach Minuten plötzlich wackelige Camcorder-Aufnahmen aus ranzigen Backstageräumen einschieben. „Das ist ja Buddy mit seiner herrlichen Plautze!“ Mein nicht mehr aktives Lieblingsbandmitglied hat mir in genau diesem Anzug aus mit Knicklichtern verzierten Müllsäcken, damals von der Bühne aus Jägermeister in den Mund geschüttet. Das ist ja jetzt auch schon wieder… 10 Jahre her? Was?! Oh nein, ich werde rührselig. Nach meinem eher als mittelmäßig befundenen Review ihrer aktuellen Platte (Link: http://www.schallhafen.de/index.php/reviews/517-deichkind-nww-review.html) und meiner Skepsis gegenüber der Richtung, die die Entwicklung ihres Livekonzepts eingeschlagen hat – eher weg vom Spontanen – kriegen sie mich jetzt so? Historisierende Archivbilder, die sich unglaublich komisch und gleichzeitig melancholisch in ein Hochglanz-Koyaanisqatsi einbetten?

Drei Silhouetten mit pink strahlenden Dreieckköpfen schimmern durch die Leinwand und der erste Release „So ’ne Musik“ im Missy Elliot-Style von „Niveau Weshalb Warum“ startet mit wuchtigem Bass. Die Leinwand fällt nach den ersten Zeilen in sich zusammen, das Deichkind-Trio tritt erst jetzt auf und ihre drei Mitperformer, auf die man den Eröffnungsapplaus hat projizieren lassen, bleiben reglos stehen: Klar gesetzte Bilder und eine göttliche Lichtdramaturgie gehören zum neuen Bühnenkonzept.

Wie toppt man den kolossalen Kindergeburtstag der letzten Liveshows – ist da überhaupt noch Luft nach Oben? Deichkind legen keine Schippe drauf, sondern verhalten sich abgeklärter. Abriss- und Exzesssignale von Lyrics und Beats stehen oft im Kontrast zu minimalen, aber präzisen Bewegungschoreografien der Herren, die mit ihren futuristischen Anzügen und den wechselnden Sci-Fi-Kopfbedeckungen immer etwas androidenartig daherkommen. Diese meist fokussierten, bedachten Bühnenhandlungen – wie etwa eine Minimal-Choreographie mit Schreibtischstühlen und Sonnenschirmen oder das standbildartige Posen während eines kompletten Songs, der eigentlich abgeht – verhalten sich merkwürdig verquer zu den immer durch eine Folie der Ironie zu betrachtenden Songinhalten. Irre flirrend nimmt das Raumschiff Deichkind für die nächsten zwei Stunden Fahrt auf.

Deichkind sind keine Popband mit nur einer Hand voll Hits, sie hatten in ihrer kompletten Wirkungszeit hohe Präsenz in den Medien und auf unzähligen Shows und das nutzen sie jetzt hier für sich. Das räumliche Dreieck muss nur kurz aufleuchten und es erzählt schon alles über das Exzessive, das wir mit ihnen in Verbindung bringen. Da braucht keiner mehr auf einem Trampolin turnen und dabei mit Bier spritzen – die Hüpfburg in unserem Kopf wird schon mit den ersten verzerrten Synthesizerklängen von „Limit“ für alles Innere freigegeben.

Die Show hat mich so gepackt, dass ich plötzlich bejahenden Zugang zu neuen Songs fand, die ich vorab als Füller abgetan hatte. In „Naschfuchs“ heißt es „Candy gegen Kummer – Bubblegum und Fanta – Popcorn gegen Panik- Gummibären statt Ganja“ und diese Zeilen sprachen in dem Moment für mich den Zustand einer Gesellschaft an, die Realität ohne Substanz will – die Zeit der nikotinfreien E-Zigarette ist angebrochen. Der Nachbar der um Punkt 22 Uhr im Kurt Cobain-Shirt vor der Tür steht und einem erklärt, dass er die Bässe trotzdem nebenan hört, obwohl der Fernseher nicht laut ist, steht für die neue Mittelschicht.

Ferris MC überquert mit einem Scooter ungelenk die Bühne, muss immer wieder bremsen und neu anfahren. Dieser Scooter als Sinnbild eines gesellschaftlichen Tabus, ein Fahrzeug, das mit adipösen Menschen in Verbindung gebracht wird, über die wir uns heute wohl zurecht kein öffentliches Urteil mehr bilden, thematisiert auch etwas, was im Deichkind-Überthema „Hedonismus“ immanent ist. Wie weit lassen wir uns fallen, werden passiv und unselbstständig? Pathologisch oder voll okay?

Und so verschränkt sich durch die verschiedenen künstlerischen Medien viel Assoziatives in ihrer Liveshow und damit auch im Kopf.

Die Band bewegt sich nicht als erlebnispädagogische Maßnahme durchs Publikum, damit alle einmal dicht dran waren – das Ausschwärmen im Plantschbecken, mit wehenden Fahnen marschierend oder im überdimensionalen Schnapsfass ist ohne großes „Jetzt kommen die Stars zu euch“-Getue im Showrahmen verankert. Besonders schön ist, wenn Kryptic Joe, Porky oder Ferris beim ordentlichen Durchrütteln der Meute mal aus der Routine gerissen werden, ihnen der Beat für Sekunden wegrennt, sie kurz nicht posen können und ein Moment der Desorientierung gefeiert werden kann, der das besondere Liveerlebnis und den Mut Deichkinds unterstreicht.

Deichkind bringen den großen Rundumschlag, sogar „Bon Voyage“ und „Komm schon“ werden in einer Art Medley mit Beats von Dizzee Rascal und Method Man & Redman performt. Dass die komplette Liveebene, was Instrumente betrifft, längst ausradiert wurde, ist etwas schade, jedoch auch verständlich, da die Flexibilität ihres Bühnenkonzepts durch zusätzliche Instrumentalisten eingeschränkt würde. Zumindest bei jenem Part, bei dem straighterer Hip Hop ohne viel Show Thema war, wäre ein wenig DJ-Kunst on Stage gut gekommen.

Deichkinds Zeichensystem verdichtet sich bei der letzten Zugabe „Remmidemmi“. Alle möglichen Requisiten, Flaggen und Gefährte die heute ihren Weg auf die Bühne gefunden haben, tauchen wieder auf und vermischen sich. Das Publikum schreit den Song, der wie kein anderer für die schrille Neuerfindung der Band steht, praktisch allein.

Es ist diese wahnsinnige Streuweite, die das Phänomen Deichkind so besonders macht. Eine riesige Menschenmasse, die privat vermutlich ganz unterschiedlich tickt, vereint sich unter einem symbolischen Dreieck und dreht gemeinsam durch.

Dass sich eine Band mit Haltung, Zeitgeist, gutem Humor und Kunstsinn so fett in den hiesigen Mainstream-Strukturen etablieren konnte, gab mir ein kitschig-wohliges Gefühl, als ich eingezwängt in der U-Bahn wieder stadtwärts stand – zusammen mit friedlichen, bierseligen Gesichtern die durch geschrottete Dreieckshelme blickten, verlaufene Neonfarbe am ganzen Körper.

Wer weiß, vielleicht antworte ich, wenn noch einmal zehn Jahre vergangen sind und mich irgendein Taxifahrer auf die Zeit um 2015 anspricht und fragt, was denn nun bitte hier die bedeutendste Liveband jener Zeit gewesen sein soll, mit der Überschrift dieser Kritik.

– Julian Gerhard

Ursprünglich erschienen auf Schallhafen.de

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Konzerte

Multimedia-Strunk coacht, hetzt und singt im Namen des Wahnsinns

25. Februar 2015, Bahnhof Langendreer Bochum

Das aktuelle Live-Programm Heinz Strunks präsentiert sich in erster Linie als Show mit Texten der nun abgeschlossenen Titanic-Kolumnenreihe „Das Strunk Prinzip“, kombiniert mit Songs seines ersten reinen Musikalbums „Sie nannten ihn Dreirad“, das im Januar veröffentlicht wurde. Dazwischen immer wieder äußerst präzise, akribisch vorbereitet wirkende Zwischenmoderationen. Improvisatorische Momente blieben weitgehend aus.

Der Veranstaltungsort Bahnhof Langendreer präsentiert stets vorbildlich besonders interessante Lesungen und Konzerten, die ohne dessen Bemühen wohl kaum in Bochums Bühnenlandschaft vorkommen würden.

Gisbert zu Knyphausen, Fanny van Dannen und eben auch Heinz Strunk gehören dem Segment kauziger Nichtmainstreamer an, die hier regelmäßig „geil abliefern“ (um es strunkesk auszudrücken).

„Das Strunk Prinzip“ ist vor allem eine Schreibform, die sich von der Stimmungsvielfalt lyrischer Ichs aus Strunks Romanen abgrenzt und den typisch euphemistischen Ratgeberduktus innehat. Das komische Potential entsteht primär aus der Asymmetrie von behaupteter Sachlichkeit in Verbindung mit absurden, vom Wahnsinn verzerrten „Beobachtungen“ und aggressiv zugespitzten Schlussfolgerungen.

Heinz Strunk präsentiert sich auf den Tourplakaten als überzeichneter Motivationscoach. Foto: © Dorle Bahlburg

Innerhalb dieser Form werden diverse, dem Künstler naheliegende Themen behandelt. Vorgetragener Text und anschließendes Musikwerk ergänzen sich meist fantastisch. Ein satirischer Beitrag über alte Menschen, die sich „noch mit Ende 90 immatrikulieren lassen“ wurde beispielsweise mit dem Song „Opa Làmour abgerundet, der von einem Alten erzählt, der an seiner Lust zugrunde geht. In den Überleitungen kommentierte der Hamburger gerne bissig seine eigenen Darbietungen – sympathisch! Strunk pendelte zwischen Lesetisch und Gesangsmikrofon, an dem er zum Halbplayback mit extravaganten Tanzmoves und einem sehr engagierten Querflötenspiel performte.

Pointen bestimmten die Liveshow – Zuschauende die weder Kolumnen, noch das aktuelle Album kannten, genossen einen gewissen Vorteil. Da ich zu der Riege derer gehörte, die sich bereits mit beiden Materialgrundlagen der Show ausführlich befassten, blieb es aus meiner Perspektive vor allem die Reproduktion von etwas Vertrautem – die ganz großen Lacher waren so nicht drin. Das haarscharf kalkulierte Live-Konzept ließ wenig Raum für losgelöste Momente, die dem Abend einen Funken Einzigartigkeit hätten geben können.
Heinz Strunk war schon gewollt „Gas zu geben“, nur zeigte sich das Publikum im Verhältnis etwas zu verhalten. Das Sich-Gegenseitig-Einheizen blieb so aus und Strunk verhielt sich vergleichsweise reserviert und abgeklärt – man könnte auch sagen, er ist niveauvoll mit der Situation umgegangen und hat sich nicht unnötig zum Comedian degradiert. Gefälligkeit liegt Strunk angenehmer Weise ohnehin nicht.

Nach einer Pause wurde der Raum für weitere Show-Elemente geöffnet. Strunk präsentierte am Akkordeon ein kleines Roger Whittacker-Medley, was Erinnerungen an „Fleisch ist mein Gemüse“ wach werden ließ. Jener Bestseller über seine Mukkerband-Vergangenheit legte den Grundstein für seinen heutigen Erfolg. Alte Fotos der Kapellen, in denen er damals mitwirkte wurden auf die Leinwand geworfen und auch andere autobiografische Stationen wurden thematisiert, wie etwa durch Hinter-den-Kulissen-Bilder von Studio Braun-Theaterproduktionen oder private Schnappschüsse von ganz früher.

Und es gab doch noch eine größere Überraschung: Zu jedem Text, den er bis zur Pause vorgetragen hatte, lieferte Heinz Strunk fast ein wenig schüchtern eine kleine schrille Zeichnung nach – gebannt studierte das Publikum die kleinen Werke.

Als Zugabe hielt er sein „persönliches Fiesta Mexicana“, nämlich den schrulligen Hit „Computerfreak“ bereit. Außerdem wurde noch ausführlich darüber berichtet, was seine „Produktpipeline“ in näherer Zukunft alles auf den Markt werfen soll. Der Tausendsassa hat viel vor. Hoffentlich ist er gewollt, hierbei auch Neuland zu betreten und nicht nur auf die Fähigkeiten zu setzen, die ihn längst zur skurrilen Kultfigur haben werden lassen.

– Julian Gerhard

(Der Artikel erschien ursprünglich am 3. März 2015 für Schallhafen.de http://schallhafen.de/index.php/dagewesen/530-heinz-strunk-live-im-bahnhof-langendreer.html)

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Konzerte

Hype und Gaudi: Wanda im Hotel Shanghai

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© Johannes Holmann

Wanda live zu sehen macht deutlich, dass der derzeitige Hype um die Band für sie eine einzige Gaudi ist – warum auch nicht! Sie werden geliebt, weil ihre Kombination aus heiteren Rock-n-Roll-Arrangements, mit der ausufernden einmaligen Stimme Marco Michael Wandas, die aus einer Art Bukowski-Perspektive zu uns spricht, schlichtweg genial ist. Und die kleinen schwer verortbaren Synthpop-Spielereien bringen den Wahnsinn noch mal auf eine andere Ebene.

Dass es sich auch im ausverkauften Hotel Shanghai noch angenehm verweilen ließ, ehrt die Köpfe hinter dem Club. Andere Veranstalter hätten der Marge zu Liebe ein ganz anderes Volumen Menschenmasse reingepresst. Eben genau diese Dinge machen am Ende den Unterschied und der Laden ist und bleibt auf allen Ebenen eine der stärksten Locations im Ruhrgebiet.

Die moderate Anspannung, die Aufgrund des unplanmäßigen Wartens auf Wanda in der Luft lag, wurde im Moment als die Obersympathen die kleine Shanghai-Bühne betreten haben, in konzentrierte Euphorie umgewandelt. Ihr Opener „Luzia“ machte direkt etwas mit dem Publikum, was ich so schon lange nicht mehr erlebt habe: Es wurde getanzt – so richtig – nicht nur gewippt und mit dem Kopf genickt.

Alles freute sich über eingängige Hits wie „Auseinander gehen ist schwer“ und auch ich formte wie jeder andere meine Lippen zu den großen Os und As von Wanda-Vokabeln wie „Amore“ oder „Schnaps“. Die konsequenten Vocal-Backings eines jedes Instrumentalisten, gaben der Live-Performance Wandas ein ganz besonders charmantes Antlitz. Amüsant beim Zusehen war, wie haarscharf synchron die Band hierbei funktionierte und wie sehr der Ausdruck der einzelnen Jungs variierte, wenn sie ihren Mund zeitgleich zum Mikrofon bewegten – der eine expressiv, der andere als hätte er die Sprechanlage einer Behörde vor sich.

Ausgelassenheit im Zuschauerraum ist etwas Fragiles, nimmt der Hedonismus Überhand, kann er den Mehrwert von mancher Band angraben. Natürlich haben Wanda sich selbst dazu entschlossen, zum Mitsingen anzufeuern, sich bei Gitarrensolos auf die Bass-Drum zu stellen und überhaupt auf Tempo zu setzen. Eigentlich aber haben die Songs zu viel Stil, als dass man sie allesamt nur im Partymodus wegspielen oder erleben sollte.

Ein fleischiger Typ mit Baskenmütze stand plötzlich vor mir und sorgte mit viel plumper guter Laune und risikoreichen Schwankmoves vor allem für Unbehagen in seinem Bewegungsradius. Exaltiertes Mitschreien, Sturztrunk und jedem klar machen, dass das heute sein großer Tag sei. Schon klar, die Refrains haben eben diesen griffigen Parolencharakter (♫ ich sauf keinen Schnaps, ich sauf ein‘ Pistolenlauf), jedoch kam mir nicht aus dem Kopf, dass Typen wie er die Band arg bagatellisieren. Ich suchte mir einen neuen Platz, wie durch unsichtbare Hand geführt, folgte er, stand wieder vor mir und hielt sein Bier wie einen Pokal nach oben. Ich wurde nervös, gleich würde er die erste Bierfontäne lostreten – Bierdusche verbindet und so. Diese hätte zur Atmosphäre gepasst, blieb aber glücklicherweise aus. Sein haptisches Verbrüderungsbegehren, mit dem er dann auch mich irgendwann bei „Schickt mir die Post (direkt ins Spital)“ konfrontierte, konnte ich ihm nachsehen.

Es verhält sich alles ganz anders bei Wanda, als bei einer Band wie Ja, Panik (um in der sogenannten Wiener Schule zu bleiben). Wenn Ja, Panik heute auch Pophits bringen, ist auch darin der vielschichtige künstlerische Reifungsprozess der Band immanent. Auch das Publikum hat sich nach und nach gefunden und über die Alben hinweg einen besonderen Bezug entwickelt. Wanda waren plötzlich da und es fühlen sich auch Leute mit Sportfreunde Stiller-Diskografie im Schrank zu ihnen hingezogen, auch wenn die Wiener hierzulande nicht durch gehobene Radiopräsenz oder heftiges Promobombing auffallen würden. Der Erfolg trifft in diesem Fall aber genau die Richtigen, jedoch wird sich der/die ein/e oder andere nach der schönen letzten Zugabe, dem kontinuierlich mit einigen Zwischenrufen eingeforderten Song „Jelinek“, gefragt haben, ob der vom DJ abgefeuerte Anschlusstrack „Junge Römer“ vom großen Falco, nicht ein bisschen zu dick unterstrichen hat, dass wir hier aktuell alle enorm auf Österreich abfahren – die Frage ist, ob diese Feier vor allem einem Trend galt.

Wanda erscheint heute noch wie ein geiler, hemmungsloser One-Night-Stand: Hoffen wir, dass er am Ende zu den rar gesäten mit Potential für was Festes zählen wird.

– Julian Gerhard

Der Artikel erschien ursprünglich bei Schallhafen.de am 17. Februar 2015

http://schallhafen.bplaced.net/index.php/dagewesen/520-hype-und-gaudi-wanda-im-hotel-shanghai-essen.html

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Platten

„Ich hab‘ durchgemacht: Aronal oder Elmex?“ – Deichkind-Ästhetik auf „Niveau Weshalb Warum“ ungebrochen

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© Jonas Lindström

Deichkind – eine Band die mit dem Mainstream-Zirkus umzugehen weiß. Sie bereicherten die Charts immer wieder mit gutem Humor und reflektierten stets die Entwicklungen der Musikbranche, sich selbst inbegriffen, kritisch. Wo andere nach außen auf rebellisch machen und sich gleichzeitig im Business duckmäuserisch geben, bleibt Deichkind eine Band mit Haltung. Dass Abi-Jahrgänge und Malle-Touristen sich „Leider geil“ auf ihre T-Shirts drucken lassen, macht Deichkind nicht schlechter.

Streitbares blieb bei den Hamburgern aber auch intern nie ganz aus. Allein der neben seinen Rap- Parts auch für die Beats zuständige Philipp Grütering, ist von der Ursprungsbesetzung geblieben. Der Erfolg hielt trotz neuen Casts an und auch die jetzigen Deichkind haben sich längst ganz oben bewährt. Regelrechte Megahits, wie „Bück dich hoch“ oder eben „Leider geil“, entstanden im derzeitigem Team.

Die erste Album-Auskopplung „So ’ne Musik“ Ende letzten Jahres, machte den Eindruck, die Zeiten von harten, verzerrten Elektrobeats, wie sie seit „Aufstand im Schlaraffenland“ (2006) Standard waren, seien vorbei. Tempo und Instrumentierung jener Single nähern sich einem Hip Hop-Sound an, der von Missy Elliott hätte produziert sein können. Jedoch bleibt dieser Beat eine Ausnahme auf dem Album – schade!

Derbe Synthieklänge und harte Bassschläge im gehobenen Tempo sind die Regel. Deichkind stehen auf „Niveau Weshalb Warum“ immer noch in erster Linie für Abriss.

© Henning Besser

© Henning Besser

Ziemlich bemerkenswert ist der Dancefloor-Song „Porzellan und Elefanten“, der mit einem weniger hartem, dafür aber großflächigem Pop-Sound a là Robyn oder Ellie Goulding daherkommt. Mit der allgemeinen Catchyness der hier genannten Referenzen hält das instrumentale Fundament des Tracks locker mit. Die ironische Brechung der starken Atmosphäre erfolgt jedoch mit Einsatz der Vocals und verschenkt in diesem Fall die Spannung, die vom Beat produziert wurde. Eine stärkere lyrische Position, hätte hier für einen ziemlichen Hit sorgen können.

Insgesamt wäre es an der Zeit gewesen, thematisches Neuland zu betreten. Hedonismus, das Abfeiern der eigenen Laster, die Strapazen die man für ein bisschen Selbstverwirklichung eingeht und das gute alte Web 2.0 – all das wird auf der neuen Platte nun endgültig ausgereizt.

Viele Gags, die auf skurrilen Alltagsbeobachtungen oder zwischenmenschlichen Beziehungen fußen, machen Spaß. Eigentlich aber wurde das alles schon auf den letzten Alben mit mehr Hingabe behandelt. Die zweite Single-Auskopplung „Bitte denken Sie groß“ wirkt wie ein lahmer Aufguss von „Bück dich hoch“, ohne die scharfe sozialkritische Dimension. Eine wenig inspirierte Kapitalismuskritik, die recht allgemein gefasst ist und der es an der nötigen Brisanz fehlt.

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So verhält es sich mit den meisten Titeln der Platte. Deichkind rappen über Bewährtes, geben sich meist gewohnt sympathisch selbstironisch und halten sich an ein längst etabliertes Konzept. Es klingt viel mehr nach „Okay, dann machen wir eben noch ein Album“, als danach, Deichkind wirklich weiterentwickeln zu wollen „Niveau Weshalb Warum“ nährt bereits den nicht zu unterschätzenden Performance-Aspekt der Gruppe. Beide neuen Videos zeigen, wie ein höheres Budget, das heutzutage kaum noch vergeben wird, sinnvoll für ein kunstvolles Musikvideo genutzt werden kann. Im Bereich des Audiovisuellen hat Deichkind viel zu bieten, ohne sie würde etwas in der hiesigen Mainstream-Poplandschaft fehlen.

Man darf hoffen, dass die Künstler hinter Deichkind noch einmal neu und anders in Erscheinung treten werden, bevor sie mit einem weiteren Release auf vermeintlich sicherem Gelände Gefahr laufen, als Berufsjugendliche, die ewig zwischen Tanke, WG-Party und verkaterten Momenten der Selbstkritik rotieren, abgestempelt zu werden.

– Julian Gerhard

Der Artikel erschien ursprünglich am 29. Januar 2014 für Schallhafen.de

http://schallhafen.de/index.php/reviews/517-deichkind-nww-review.html

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Essays

Roberto Baxxter und das pathologisches Augenzwinkern: Trashwerbung mit alten Pop- und Schlagerikonen

Jede Menge Fanszines, Boulevardmagazine und Musikjournale berichteten und regten online zu heiteren Diskussionen an – Scooter-Frontman HP Baxxter schiebt einen Einkaufswagen vor sich her: „Der hat Humor“ und „Werbung kann eben doch unterhalten“ war man darüber einig.

Die Rechnung ging voll auf, Baxxter und Edeka verschmolzen miteinander, der Konzern freudentanzte mit jeder Berichterstattung vor lauter gratis Viralreklame. Jene Medienbereitschaft, das eigene Programm unkritisch, mit ach-so-verrückter Werbung zu füllen, motiviert die Agenturen, an ihrer Bad-Taste-Linie festzuhalten – die Arbeit machen ja praktisch die anderen.

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HP Baxxter beim Songwriting – Die Hookline steht

Ähnliche Versuche, alte Eisen der Musikbranche in „abgefahrene“ Kontexte zu packen, gab es in jüngerer Zeit viele. 2014 warb Das Bo mit dem „Feierabend-Song“ für den Fleischindustrie-Riesen „Rügenwalder“: „This is the Wurst-Case Scenario“ leitet Bo im Spot ein, bevor ein Free-Ware-Beat startet, auf dem er auf Wurst gemünzte Zeilen rappt. Sexy Cliptänzerinnen schnuppern hierzu verrucht an Wurstbroten. Vermeintlich komisches Potential: Wurst ist kein passendes Hip Hop-Requisit.

Es soll alles herrlich stumpf und selbstironisch wirken. Eindeutig stigmatisierte Symbole des Rap, auf etwas so plumpes wie eine Leberwurst anwenden: Genial!? Eben nicht. Das streitbare Lebensmittel, in Kombination mit der abgehängten Rap-Ikone und all den schlechten Werbegags bedeuteten eine harte Fahrt gegen die Wand. So dumpfbackig, ein Fleischprodukt an ein inzwischen sensibilisiertes junges Publikum bringen zu wollen, unterstreicht, wie sehr die Initiatoren des Ganzen aus der Zeit gefallen sind. Doch egal wie stark die Würde aller Beteiligten am Ende leidet: Für den Kommunikationseffekt hat es gelangt.

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Der Moment in dem die Tänzerin (rechts) zu realisieren beginnt, was sie hier eigentlich tut (vergleiche letzte Rollergirl-Szene in Boogie Nights)

Nun aber all eyes on Roberto Blanco, aus dem schon so mancher Profit schlagen wollte und das mit der immer gleichen einfältigen Idee: am Ende soll der „It’s cool man-Effekt“ ausgelöst werden. Es läuft gemeinhin darauf hinaus, Blanko als Archetyp einer afroamerikanischen Subkultur zu verkleiden. Das Hip Hop-Magazin Fett MTV hatte im Jahr 2000 als erster die Idee, den Showhasen in einen fremden Kontext einzubinden. Er stellte hier wöchentlich in der Rubrik „Augen auf beim Plattenkauf“ neue Releases an einem DJ-Pult vor, headlinete ein paar Statements der Redaktion zu den Platten, fuhr die Regler danach hoch und tanzte – das war beinahe süß.

Ein Jahr später veröffentlichten die damals überaus erfolgreichen Discoboys mit ihm den 70s-Erfolg „Born to be alive“ in einer Clubversion, bei der er gar keine schlechte Figur machte. Man wollte bei „Burning down the House“ einhaken, was zu der Zeit in einer Fassung von Tom Jones und den Cardigans rauf- und runterlief. Roberto Blanko als deutsche Antwort auf Tom Jones, auch das hat es schon gegeben.

2007 spielte Blanko für eine Werbung die Rolle Samuel Jacksons in der Rekonstruktion einer Pulp Fiktion-Sequenz nach. Jürgen Drews übernahm den Part John Travoltas. Die Autofahrt-Szene, in der es eigentlich um MC Donald’s in Holland geht, war Schablone. An sich ein interessantes Setting, liefe nicht alles aufs Aufsagen von Werbebotschaften für Pick Up Dark hinaus.

Blanko und Drews

Schade, dass sich Leibniz hier nicht für die Bonni-Situation entschieden hat.

„Ein bisschen Sparen muss sein“ hieß es dann kürzlich in einem Sixxt-Spot, in dem Blanko nach Hauspfändung mit einem geliehenen Sportwagen in einem New Yorker-Ghetto landet und zu einem Beat, der an Dr. Dre erinnern möchte, übers Pleitesein rappt. Hier sollten also auch echte Schlagzeilen a là „Blanker Blanco“ (Bild) thematisiert und genutzt werden. Das Auskosten von seinem größtem musikalischen Erfolg, den jüngeren negativen Berichterstattung, ein bisschen Kasperei auf Kosten seines ethnischen Backgrounds – kann man noch mehr rauspressen?

Blanko Rap

Blanco brach ein Medizinstudium nach zwei Semestern ab, heute ist er Entertainer.

Bei allen Beispielen geht es am Ende aber primär um die Gegenüberstellung von unserem lieben Schlageronkel Blanco, mit einem durch amerikanische Medien geprägten Stereotypen eines schwarzen Mannes, das soll der Gag sein – eine Strategie die nachdenklich stimmen sollte.

Etwas falsch verstanden haben auch die Mitarbeiter, die für den Werbespot von Marianne und Michael zuständig waren. Über dieses junge Werk wurde glücklicherweise kaum berichtet. Michael haut Marianne zu Beginn des Clips hart auf den Arsch, beide Rappen dann (verlgeiche Fanta 4 zur Gründerzeit) über Joghurt und empfangen immer pünktlich zum Refrain Besuch vom Apfelmännchen. Die ca. 80 % Dislikes sprechen eine unmissverständliche Sprache – please stop it now.

– Julian Gerhard

Apfelmann

„Der Apfelmann“ gilt als Negativhöhepunkt des finalen Blumfeld-Albums „Verbotene Früchte“.


UNSER SPEZIELLER LESERSERVICE Folgende Kommentare stehen ihnen für eine Anschlussdiskussion frei zur Verfügung.

Kritisch: Du spASst machst selber ja voll werbung und beschwerst dich über andere!!

Zustimmend: genau!!

Entgegnend: aber leute die anstelle von firmennamen immer nur sowas wie „der schokoladenfabrikant“ sagen, sind auch hundesohn! Und thema ist ja wichtig. Ich kannte clips eh alle schon, für mich kein werbung

Troll: itzibitzi ibiza!!

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Konzerte

Die Fantastischen Vier: Langer Atem, aber Mundfäule

Die Fantastischen Vier in der ausverkauften Lanxess Arena Köln – ein Kollege, der für eine Zeitung schreibt nimmt mich mit. Was für ein toller Kontakt: Megahallen-Konzerte erleben plus gute Gespräche. Das ist in zwei Stunden. Ein kurzes Storming zu den Spaßrappern soll etwas Vorbereitung schaffen.

Von den vier Synchronsprechern der Madagascar-Pinguinen faszinierte mich einst: „Die da!“, zusammen mit Achim Reichels „Aloha He“ wohl der erste Pop-Song auf deutsch, mit dem ich konfrontiert wurde. Wenig später erschien dann die Single „Saft“ mit der Hook „Gib mir deinen Saft ich geb‘ dir meinen“, was mich zu jenem Entwicklungszeitpunkt kognitiv überforderte – Saft?

Mikrofonprofessor

Die deutschen Beastie Boys sind das ja wohl nicht – eher die deutschen Will Smith! („Mikrofonprofessor“-Videoclip)

Eigentlich mit der Intention gestartet, hier den ultimativen Abgesang auf die Band zu formulieren – denn genervt bin ja wohl nicht nur ich-, raubt mir ein erster Blick auf ihre Singleveröffentlichungen nun doch irgendwie die niedere Energie für das Vorhaben.

Es ist wohl schwer abzusprechen, dass sie Anfang der ’90er allein aus Interesse am vermeintlich neuen Format „Deutschrap“ viel polarisierende Beachtung fanden („Die da!“). „Du bist zu geil für diese Welt“ beendete die Phase von vereinfachter Falkosprechtechnik plus Cubasebeat der ersten Generation und es kamen ab 1995 musikalisch inspiriertere Tracks wie „Der Picknicker“ oder „Tag am Meer“ raus, die sich zwar nur irgendwo im Mittelfeld der Top 100 platzierten, im Musikfernsehen jedoch ziemlich präsent waren – mit den Medienpartnern wurde man sich scheinbar immer einig.

Der als langhaariger DJ Hausmarke in der Band gestartete Michi Beck erzielte 1995 als Protagonist von „Sie ist weg“ den einzigen Nummer-1-Hit der Gruppe. Jedenfalls was die deutschen Charts betraf – Österreich und die Schweiz waren wie ich begeistert von „Die da?!“ und kürten das Kinderlied zu ihrer einzigen Fanta 4-Nummer-1.

Tag am Meer

Thomas D. (ganz links) trägt 7/8 Hose. („Tag am Meer“-Videoclip)

Die eigentlich ganz charmanten „Le Smou“ (mit Gastauftritt von Howard Carpendale im Video) und vor allem „Populär“, das ich damals als Kommentar zum Girl- und Boyband-Ausverkauf verstand, blieben mir gut in Erinnerung: Dieses schrille Saxophon und der energetische Refrain bei „Populär“, der etwas an „Jump Around“ (House of Pain) zu erinnern vermag.

Spätestens mit der Bambule der Beginner 1998 ging aber der Hip Hop-Hype in Deutschland los und Eimsbush und die Kolchose legten die Credibility-Latte höher: Fanta 4, Fettes Brot – oh Gott, wie peinlich waren die denn jetzt bitte.

Und trotzdem, die die sich nicht von der Hip-Hop-Welle haben mitnehmen lassen, hörten wohl eisern weiterhin Fanta 4. Es gelang der Band tatsächlich 1999 mit „MFG“ einen ihrer drei größten Erfolge zu erlangen (Platz 2). Mit „Michi Beck in Hell“ verlor danach der zurückhaltendste Vokalist der Truppe seine „Sie ist weg“-Credits. Auch das Video gehört zu den beknacktesten der Viva-Geschichte.

Tatsächlich leierte die deutsche Version von MTV Unplugged im Jahr 2000 – trotz der damaligen gehobenen medialen Präsenz von verwurzelter Hip Hop-Kultur, neben der die vier noch viel mehr wie Pausenclowns aussahen – ein Konzert mit ihnen in einer Tropfsteinhöhle an. „Tag am Meer“ wurde fortan dauernd vom Sender in einer schnarchigen Chill Out Version gespielt. Den ganzen Kram noch mal in einlullenden Versionen mit überengagierten Profimusikern rauszubringen, ändert natürlich nichts am entwicklungsarmen Style der Pfeifen. Die Höhle wieder zu verlassen, konnte eigentlich nicht ernsthaft Plan gewesen sein: Ein schöner Karriereendpunkt hätte das sein sollen.

Nein, es ging weiter. Nachdem Thomas D. sein Soloding mit starkem Esoeinschlag durchgezogen hat, Michi Beck ein ganz bisschen Aufmerksamkeit für das Projekt mit dem äußerst uninspiriertem Namen „Turntablerockers“ erhalten hat (♫ I got a Song but I got no Melody…), Hamstermensch Smudo damit begann, als Tanzbär in Fernsehstudios aufzutauchen und And.Ypsilon (was sind das überhaupt für Namen..) ein grässliches Studiomucker-Album aufgenommen hat, startete bereits 2004 ihr Comeback. Und tatsächlich schafften sie es (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) recht frisch und mit neuem Anstrich daherzukommen. Die Single „Troy“ macht Spaß und auch das Video ist lässig. Alle Zeichen standen auf Verkacken und sie haben es nicht verkackt: Respekt.

Aber dann.. (Aber dann!). Eine schlechte Auskopplung folgte der nächsten, alle zehrten nur noch vom Popappeal der Refrains. Die letzten zehn Jahre tun weh. Nach zig blöden Bandnamenwortspielchen fürs Albumcover (4 gewinnt, die 4. Dimension, 4:99, Für dich immer noch Fanta Sie), x-mal Smudo im Wok und dem millionsten Videoclip, der Selbstironie transportieren soll, kann man 25 Jahre Bandgeschichte unter diesen Bedingungen schwer würdigen. Die Halbwertzeit ist sowas von überschritten worden, der Bubicharme versteinert – Fanta 4 setzen Moos an.

Thematisch ging eh‘ nie wirklich viel und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie irgendeinen pädagogischen Auftrag haben – eigentlich immer brav und ein bisschen inszeniert verrückt. Besser wäre es, wenn es sich mit „Rekord“ ähnlich wie mit „Recorder“ von Echt verhält – ein letzter bitterer Album-Release.

Michi Beck in Hell

Zur aktuellen Lage der Fantastischen Vier. ( „Michi Beck in Hell“-Videoclip)

„Immer probieren die nächste Welle zu nehmen, anstatt nur frustriert auf der Stelle zu stehn’“ sagen die Onkel gut gemeint in ihrer aktuellen Single „Und los“ und beschreiben sich damit ganz gut selbst. Vor allem der Begriff „Probieren“ trifft es. Genug der Probiererei, aus dem Has-Been-Ozean werdet ihr wohl nicht mehr gelangen.

NACH DEM KONZERT

Der Showbeginn um Punkt 21 Uhr mit dem Song „25“, hat mich doch irgendwie gepackt. Die Halle drehte trotz des Umstands eines Sonntagabends durch. Die drei Vokalisten performten auf einer kleinen Bühne im Zuschauerraum. Aber nach dem Song mit der catchy Hook und der Begrüßungseuphorie, wurde es wenig abenteuerlich. Dabei hätte man ja denken können, der Knalleffekt mit dem „25“ endete und der einen Konfettiregen auslöste, leitet die Show erst richtig ein. Gegenteiliges war der Fall: Sie schritten auf die große Bühne, die Songs wurden ehrgeizig abgehandelt, ein paar einstudierte Slapsticknummern (Smudo rappt so doll, dass ihm der Kopf ganz rot wird und Thomas und Michael wedeln ihm Luft mit ihren Handtüchern zu) und sonst gab es halt das komplette erlebnispädagogische Programm: Schnelle Nummer=Hüpfen, Ruhigere Nummer=Handydisplay raus, alles Weitere=„Ich will eure Hände sehn‘!“.

Fanta Vier Live

Der Höhepunkt des Fanta 4-Konzerts nach dem Opener in Köln. (Ersatzfoto aus Mannheim)

16.000 recht ausgelassene Konzertbesucher feierten also ihre Stars – die stecken doch alle unter einer Decke… Nicht ernsthaft kann man über Zeilen jubeln, wie „S.Mu.D.O. – ich tu nicht so, ich bin halt so / bin immer gut dabei, bin nicht homo, sondern hetero / ich spreche ziemlich schnell, schneller als die meisten Leute / und mach mein Ding nicht morgen, nein ich mach es lieber heute / nicht hü, nicht hott, nicht langsam, sondern flott“ (aus „S.M.U.D.O. Ich bin halt so“).

„Zu 25 Jahren Fanta 4 gehört auch der Oldschool-Scheiß“ verklärt Thomas D. und suggeriert den armen Kindern im Publikum damit, die Schwaben hätten so etwas wie eine reale (englisch ausgesprochen) Vergangenheit gehabt.

„Wo sind meine Kopfnicker“ fragt Michi Beck. Warum die Fantas auch noch auf einem Konzert ihrer 25-Jahr-Tour flown, als sei das die Abschlusspräsentation einer Projektwoche zum Thema Rap, bleibt geheimnisvoll. Wie aus Knete bewegen sich Smudo und Michi Beck über die Bühne und deuten Hip-Hop-Moves an. Was ihre Beine immer mal wieder zu tanzen versuchen, nennt sich „Shuffel“ und wurde durch MC Hammer bekannt. Thomas D. erinnert rhetorisch stark an den Graf (viel Performance mit Unterarm und Zeigefinger). Aber auch inhaltlich und optisch passen die zwei gut zusammen. Bei D.s Solonummer „Gott ist mein Zeuge“, hätte man meinen können, man befände sich auf einem Konzert jener Kitschkoryphäe.

Fanta 4 haben sicher ein tolles Management, eine treue Fanbase und in der Reihe hinter mir standen sogar zwei Kinder, die die neuen Songs auswendig konnten – auch die Strophen! Na gut, das sagt auch viel über die Raptechnik.

And.Ypsilon ist bestimmt nett. Er verkörperte seine Rolle als gemütlicher Musikproduzent an seinem im Zentrum der Bühne platzierten Pult super – was auch immer er da jetzt ganz genau tätigte. Bei Fanta 4 spielen drei ältere Herren sich als coole Typen auf und werden von ebensolchen Leuten, wie auch von Hitradio Antenne-Hörern, abgefeiert. Vielleicht eine Win-Win-Situation – das ist Auslegungssache. Ein bisschen Karneval ist da auf jeden Fall immanent. Ach, und „Die da!“ kam übrigens nicht!

– Julian Gerhard

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